Von Geisterspuk, Helden- und Liebestaten. – 25. Mai 1841, (Fortsetzung)
[HIM 1.410525b.1] Ihr werdet in eurem Innern denken: Diese (auf der Rückfahrt vom „Kulm“ vom Knecht geschaute Friedhof-)Erscheinung, wenn auch geistig, hat gerade nicht gar zu viel außerordentlich Ausgezeichnetes in ihrem Anblicke! – Es ist wahr, daß oft so manche Erscheinung aus der Geisterwelt in ihrer möglichen Äußerlichkeit nichts Außerordentliches für ein Auge bietet. Aber es geht bei allen geistigen Erscheinungen so: Je größer sie sind in geistiger Hinsicht, desto geringfügiger sind sie allezeit in ihrer äußerlichen Erscheinung. Je großartiger aber irgendeine geisterhafte Erscheinung auftritt, desto weniger ist im Grunde daran.
[HIM 1.410525b.2] Ihr werdet öfter gehört und gelesen haben, daß in manchen alten, verfallenen sogenannten Ritterburgen oft so großartige Erscheinungen und „Spukereien“ vor sich gehen, daß davon mehrere Provinzen und Länder eine ganz unheimliche Kenntnis erlangen. Und wenn ihr Gelegenheit hättet, selbst einer solchen nächtlichen „Spukerei“ beizuwohnen, da würdet ihr sicher ausrufen: „Ach, das ist doch etwas Außerordentliches!“ Und wenn ihr, gleich vielen anderen Menschen, sehen würdet, wie solche verwunschene Burgprinzen nächtlicherweile Steine und andere Gegenstände um sich her werfen oder umhertragen, wahrlich ihr würdet das Außerordentliche solcher Erscheinung euer ganzes Leben lang vor lauter Größe nicht verdauen!
[HIM 1.410525b.3] Wenn Ich euch dabei aber euer geistiges Auge öffnen würde, so würdet ihr darüber nicht viel anders urteilen, als wenn ihr unterwegs einige Gassenbuben angetroffen hättet, welche sich damit vergnügen, einige nichtssagende, lose Bubenstreiche auszuführen!
[HIM 1.410525b.4] Die kleinliche Erscheinung, daß sich zwei Mücken begatten, woraus ihr euch soviel wie gar nichts machet, übertrifft ja doch an Größe und Bedeutung alle Burgspukereien seit den urältesten Zeiten bis auf euch und weit fernerhin.
[HIM 1.410525b.5] Ebenso ist es übrigens auch mit den „Taten“ der Menschen! Es gibt ja „Helden“ darunter, die vor tausend und tausend Jahren die sogenannten größten Taten ausgeführt haben, und noch heutigentags werden sie besungen und von tausend Geschichtsschreibern für das arme Gedächtnis neu geboren. Jedoch wahrlich, Ich sage euch, wenn euch dereinst die große Bibliothek in Meinem Reiche aufgetan wird, so werdet ihr darinnen so manche „Großtatenhelden“ mit ganz vergeblicher Mühe suchen. Wohl aber werdet ihr euch darüber höchlich verwundern, wie in diesen ewigen Büchern des Lebens oft eine von niemand bemerkte, ganz im geheimen verübte Liebestat sich großartig für alle ewige Zeiten von neuen und immer neuen Wundern bezeichnet ausnimmt!
[HIM 1.410525b.6] So wäre z.B. einem von euch je auf irgendeinem Wege ein armer, mühseliger Mensch oder ein armes, hilfloses Kind was immer für eines Geschlechtes untergekommen, und ihr hättet ihm eine Barmherzigkeit erwiesen – fürwahr diese Tat allein überwiegt schon alle ordentlichen Großtaten aller Welthelden, welche Menschen zu Tausenden und abermals Tausenden schlachten ließen, als wären sie, gleich Mir, Herren über Leben und Tod, während sie doch nicht auch nur ein verdorrtes Grashälmchen zu beleben vermögen. Und könnten sie es auch, wie gering wäre solche Tat gegen die, durch welche ihr nicht nur ein Grashälmchen, Ich sage euch, unendlichmal mehr denn ein Grashälmchen, höret und verstehet wohl, durch welche Tat ihr einen Meiner Brüder belebet habt!
[HIM 1.410525b.7] Wenn ihr nun von solch großartiger Schlachtung bis zur Belebung eines Grashälmchens und von da bis zur Belebung eines unsterblichen Bruders die endlosen Unterschiede im Geiste erwäget, so wird es euch gewiß klar werden, warum in Meiner Bibliothek solche Erdheldentaten gar nicht vorhanden sind und warum wieder andere, auf der Erde oft gerade gar so wenig beachtete (Liebes-)Taten, in Meinem Reiche ein so außerordentliches, sage, ewig wunderbares Aufsehen erregen.
[HIM 1.410525b.8] Es geht mit diesen kleinscheinenden Liebestaten auf der Erde beinahe geradeso, als wenn jemand mit der Spitze einer Nadel seinen Namen in die zarte Rinde eines jungen Bäumchens eingegraben hätte, allda der Name wächst wie der Baum selbst. Und könnte der Baum wachsen ins Unendliche, wie in Meinem Reiche, so würde auch der Name mit dem Baume selbst also ins Unendliche wachsen, daß ein jeder einzelner Schriftzug am Ende zu einem unendlichen Felde würde, auf welchem wieder neue und zahllose Wunder sich zu enthüllen einen großen Raum haben möchten.
[HIM 1.410525b.9] Daher auch, Meine lieben Freunde: Wo ihr in Meinem Namen immer hingehet, und was ihr in Meinem Namen immer ansehet und beobachtet, wollet ihr wahrhaft Großes beobachten, dann wendet eure Augen auf kleine Dinge und geringfügig scheinende Ereignisse!
[HIM 1.410525b.10] Wahrlich, in eurem Geiste werdet ihr es ohne Mühe empfinden, was da größer ist: eine strahlende Zentralsonne oder die Träne eines armen, weinenden Kindes. Wahrlich, habt ihr die Träne getrocknet und habt dem Hungrigen auch nur ein mageres Stückchen Brotes gereicht, so habt ihr mehr getan, als wenn ihr eine Trillion Zentralsonnen erschaffen und wieder zerstört hättet.
[HIM 1.410525b.11] Denn diese und alle Welten mit ihren Herrlichkeiten werden einst vergehen und zunichte werden – aber aus den Taten der Liebe werden an ihrer Stelle unvergängliche Sonnen und Welten hervorgehen und werden wachsen und herrlicher werden in alle Ewigkeit der Ewigkeiten. Und ihr werdet darinnen schauen die große Herrlichkeit des „neuen Himmels“ und der „neuen Erde“, welche da sein werden und jetzt schon sind: reine, unvergängliche Werke der ewigen Liebe – wie die jetztigen Welten sind Werke des Zornes und seiner tödlichen Macht.
[HIM 1.410525b.12] Tuet daher Liebe jedermann ohne Unterschied und helfet nach Vermögen jedem, der eurer Hilfe bedarf, so werden eure Werke vollkommen sein und ihr in euren Werken – wie Ich, euer liebevollster Vater im Himmel, vollkommen bin.
[HIM 1.410525b.13] Das sage Ich, dem das Kleine lieber ist als das Große. Amen!