184. — Das geistige Verhältnis zwischen den Epikureern und den Kynikern
[GEJ 8.184.1] Sagte nun Kado: „Ja, Herr und Meister, ich habe in bezug auf Deine an uns gerichtete Rede und Lehre eine mir wenigstens recht sehr gewichtig scheinende Frage; so es mir gestattet ist, Dich mit einer Frage zu belästigen, da will ich wohl mit aller Freude meinen Mund öffnen.
[GEJ 8.184.2] Sieh, o Du lieber Heiland, Herr und Meister, Du hast uns in Deiner Rede die Seelenlebensschädlichkeit des Epikureertums auf eine so höchst klare Weise dargestellt, daß wir uns denn auch alle fest entschlossen haben, demselben für immerdar zu entsagen! Aber wir haben neben dem Epikur auch noch einen anderen Weisen von einer ganz anderen Richtung; es ist das der alle Welt und ihre Reize, Schönheiten und Schätze und sogar dies Erdenleben tiefst verachtende Diogenes von Kyne.
[GEJ 8.184.3] Dieser ist das vollendetste Gegenteil des Epikur, und weder er noch einer seiner Jünger glauben an die Unsterblichkeit der Menschenseele, und für sie erzeugt das Sterblichkeitsgefühl durchaus keine Furcht und kein Bangen, sondern alle können den Augenblick des Nichtmehrseins kaum erwarten. Dabei aber sind sie dennoch ganz ehrliche, gute und dienstfertige Menschen und halten ihr einmal gegebenes Versprechen auf das pünktlichste. Ihre Nahrung ist so mager und einfach als möglich. Sie verachten jede Bequemlichkeit, jede Pracht und leben sehr züchtig und eingezogen. Ja, sie ehren sogar die Götter und erkennen ihre Güte, Weisheit und Macht an; aber sie danken ihnen für nichts und verschmähen jede Art Belohnung, die sie irgend von einem Gotte zu erhoffen hätten, auf das tiefste. Das ewige Nichtsein ist ihr Wunsch; jede Art des Seins und Lebens aber betrachten sie als eine unerträgliche Last und Qual.
[GEJ 8.184.4] Nun, diese Menschen sind in ihrem Handeln nahe ganz das, was ein Mensch nach Deiner Lehre sein soll. Was fehlt denn ihnen, daß sie würden, was wir nun durch Deine Gnade geworden? Und so sie sterben, werden ihre Seelen nach des Leibes Tode irgend fortleben, und wie, glücklich oder unglücklich? Ich habe diesen sonderbaren Menschen stets meine Aufmerksamkeit geschenkt, obschon ich mich mit ihrer Lehre wahrlich nie als für mich maßgebend befreunden konnte. Herr und Meister, gib uns auch darüber einen Aufschluß und über die Art und Weise, wie sie zu Deiner Lehre bekehrt werden könnten!“
[GEJ 8.184.5] Sagte Ich: „Ja, ihr Meine nun lieben Freunde, diese Art Menschen sind darum noch schwerer auf den rechten Lebensweg zu bringen als die Epikureer, weil sie keine Liebe zum Leben haben! Die Epikureer haben sicher sehr viel Lebensliebe, nur ist sie Eigenliebe und daher auch eine den Tod gebärende Materieliebe. Wird diese aber, wie bei euch nun, durch den rechten Glauben an einen allein wahren Gott in Liebe zu Ihm und zum Nächsten umgewandelt, so sind die Epikureer dann offenbar um gar vieles besser daran als die lebensstumpfen Kyniker.
[GEJ 8.184.6] So aber diese zum wahren Glauben an einen allein wahren Gott bekehrt werden können, so wird dadurch dann schon auch die Liebe zu Ihm, zum Nächsten und dadurch auch zu sich selbst belebt, weil Gott als die reinste und ewige Liebe durch den lebendigen Glauben im Herzen des Menschen Wohnung nimmt und dadurch denn auch alles im Menschen in Liebe und Leben umgestaltet.
[GEJ 8.184.7] Aber, wie schon bemerkt, es sind derlei Menschen stets schwer zu bekehren hier auf dieser Erde, und also auch in der Geisterwelt, weil ihnen eben die Liebe zum Leben mangelt. Sind sie aber einmal bekehrt, dann sind sie wahre Helden im Glauben, in der Liebe und im Handeln; denn sie haben vor andern Menschen die Selbstverleugnung, die Geduld und einen großen Grad von Demut voraus, wodurch sie alle materielle Liebe, die im Fleische wohnt, leicht beherrschen und auf dem Wege des Lichtes unbeirrt fortwandeln können, was bei den andern Menschen um vieles schwerer geht.
[GEJ 8.184.8] So die Kyniker aber als unbekehrt sterben, so leben ihre Seelen jenseits, trotz ihres Wunsches zum Nichtsein, dennoch ewig fort, was ihnen freilich wohl nicht angenehm ist; sonst aber erleiden sie keine Qual und Pein, sondern verhalten sich ganz so, wie sie sich in dieser Welt verhalten haben. Sie werden aber auch im Geisterreiche von den Engeln oft besucht und nach Tunlichkeit unbeschadet ihres freien Willens erleuchtet. Aber es gehört dazu viel Liebe, Weisheit, Mühe, Geduld und Ausharrung.
[GEJ 8.184.9] Übrigens gibt es von dieser Art Menschen stets nur wenige, und so werden sie die andern Menschen auch schwer in einer größeren Anzahl also verderben können wie die überzahlreichen großen und kleinen Epikureer, die allenthalben zu Hause sind und ihr eigenliebiges Wesen treiben, an Gott kaum denken vor lauter Trachten nach Wohlleben und einen armen Nächsten gar nie ansehen, außer er kann zum Vorteile des Epikureers arbeiten um einen kleinen Lohn.
[GEJ 8.184.10] Der wohllebende Epikureer verdirbt viele Menschen durch sein Beispiel, der eine, bemittelte Teil der Menschen trachtet auch nur, wohl zu leben, und der nicht Bemittelte wird dabei voll Neid und Ärger, weil er nicht so leben kann wie der Bemittelte; und so ist ein Epikureer um vieles schlechter als ein Kyniker. – Damit habe Ich dir deine Frage nun beantwortet, und es kann nun ein anderer um etwas fragen.“