GEJ 2 Kapitel 111. —
Vom wahren Gebet
1] Als wir uns alle wieder am Ufer befanden, da sprach der Hauptmann: „Herr, nun habe ich des Beweises in größter Menge, daß du entweder der allerhöchste Gott Selbst, oder ein Sohn desselben bist; denn das vermag kein Sterblicher!“
2] Darauf fielen alle vor Mir auf ihre Knie und wollten anfangen, Mich anzubeten.
3] Aber Ich behieß sie, sich vom Boden zu erheben, und sagte zu ihnen: „Höret, alles dessen bedarf Gott und Ich nicht, sondern
- das allein wahre Gebet besteht in der aufrichtigen Liebe zu Gott, dem Vater im Himmel,
- und gleichermaßen zu den Nebenmenschen, die eure Nächsten sind.
Alles andere Gebet hat vor Gott keinen Wert, und vor Mir auch nicht.
4] Gott hat die Menschen auch nie gelehrt, Ihn mit den Lippen zu verehren und die Herzen kalt zu halten. Aber weil ein Samuel vor dem Volke laut gebetet hat, desgleichen mehrere Propheten, und weil David Gott dem Herrn seine Psalmen und Salomo sein Hoheslied sang, so kam das Volk zum leeren Lippengebet und zu den kalten Opfern.
5] Aber vor Gott ist solch ein Beten und Opfern ein Greuel! Wer nicht im Herzen beten kann, der bete lieber gar nicht, auf daß er sich vor Gott nicht unanständig gebärde! Füße, Hände, Augen, Ohren und Lippen hat Gott dem Menschen nicht gegeben, daß er damit eitel und leer beten solle, sondern allein das Herz!
6] Aber dennoch kann ein jeder Mensch auch mit den Füßen, Händen, Augen, Ohren und Lippen beten;
- und zwar mit den Füßen: wenn er hingeht zu den Armen und ihnen Hilfe und Trost bringt;
- mit den Händen: wenn er den Notleidenden unter die Arme greift;
- mit den Augen: wenn er gerne die Armen ansieht;
- mit den Ohren: wenn er gern und tatwillig Gottes Wort anhört und dieselben vor den Bitten der Armen nicht verschließt;
- und am Ende mit den Lippen: wenn er sich gerne tröstend mit den armen, verlassenen Witwen und Waisen bespricht und für die Gefangenen nach seiner Macht und Kraft gern ein gutes Wörtlein einlegt bei denen, die die Armen oft schuldlos gefangenhalten, auf daß sie dieselben freiließen.
- 7] Also betet der Mensch mit den Lippen auch, wenn er die Unwissenden belehrt und sie zum wahren Glauben, zur rechten Erkenntnis Gottes und zu allerlei nützlicher Tugend beredet.
Das alles ist dann auch ein Gott höchst wohlgefälliges Gebet.
8] So ihr aber nun das wißt, da tuet auch danach, – und ihr werdet an den Segnungen Gottes nie einen Mangel haben! Denn das heißt dann: Gott im Geiste und in aller Wahrheit anbeten.
9] Es steht zwar wohl geschrieben, daß der Mensch ohne Unterlaß beten soll, so er nicht in eine Versuchung fallen will; wie läppisch und vollkommen närrisch aber wäre es, so Gott von den Menschen ein unablässiges Lippengebet verlangen würde! Da müßten denn die Menschen, um Gott wohlgefällig zu werden, Tag und Nacht in einem fort auf den Knien liegen und unaufhörlich leere, herz- und sinnlose Lippengebete, gleich den Vögeln in der Luft, herschnattern! Wann aber würden sie dann sonst eine nötige Arbeit bestellen können? Aber so ihr mit Händen, Füßen, Augen, Ohren und Lippen in einem fort also tätig seid und liebet in euren Herzen allzeit Gott und eure armen Nächsten, so betet ihr wahr und in der Tat ohne Unterlaß zu Gott, der euch darum auch allzeit segnen und euch darum auch dereinst jenseits geben wird das allerglückseligste ewige Leben! – Habt ihr das wohl alles verstanden?“
10] Sagen alle: „Ja, Herr und Meister, das ist so klar und wahr, wie klar und wahr da ist das Licht der Sonne, und wir werden alle danach tun!“
11] Sage Ich: „Gut denn, Meine lieben Freunde, so lasset uns nun wieder in die Stadt heimziehen!“
12] Die acht Knechte aber behieß Ebahl, daß einige von ihnen mitgehen sollten; und er werde ihnen Brot, Wein, Fische und Früchte geben für ihren Unterhalt. – Da machen sich gleich sechs mit auf den Weg, und Ebahl versieht sie mit allem reichlich.